FARBE • GEIST • ZEITGEIST? Christliche Kunst im Werk von Wilhelm Buschulte Expressionistische Bilder und weiße Wände, schlichte geometrische Architektur, eine durch museale Präsentation geprägte Äthetik unserer Zeit, begegnet uns in der Apostolischen Nuntiatur in Berlin.1 Bei diesen Bildern handelt es sich um Glasmalerei. Ihr Thema ist dem Ort entsprechend biblisch. Ein Versuch der Kirche, die vermeintliche Konkurrenz „Museum“ nachzuahmen? Keineswegs. Die bildliche Umsetzung einer typologischen Gegenüberstellung ist seit über einem Jahrtausend künstlerisch präsent und die Kirche hält unbeirrt daran fest. Die Nuntiatur, im Jahr 2001 eingeweiht, repräsentiert optisch den Zeitgeschmack unserer Gegenwart, inhaltlich bewegt sie sich in einer geistigen Sphäre des Überzeitlichen, in diesem Fall des Christlichen.
Wilhelm Buschulte hat sich nie gescheut, biblische Themen bildlich zu verwirklichen, ist die Bedeutung ihrer Geschichten doch zu allen Zeiten aktuell. Dabei sind die Farbkompositionen Buschultes ein Faszinosum an sich und es fällt schwer, sich auf Inhalte zu konzentrieren. Die Bilder der Nuntiatur folgen – exemplarisch für viele Fensterzyklen - zwar detaillierter Programmatik, vom Auftraggeber vorgegeben, doch kann – sichtbar auf den ersten Blick – keineswegs behauptet werden, Buschulte illustriere sklavisch christliche Symbolik ohne künstlerischen Wert. Hier die eigene künstlerische Position zu bewahren, ist ein ungleich schwierigeres Unterfangen als im Bereich der autonomen Kunst. Für die Nuntiatur hatte Buschulte zwei Entwurfsvarianten geschaffen, eben jene expressiv farbige und konträr dazu eine Version in strenger Geometrie aus schwarzen und goldenen Linien.2 Letztere wurde vom Künstler bevorzugt. Der Auftraggeber entschied sich für die Farbigkeit. Und schon stecken wir in einer Situation menschlicher Grundproblematik und ganz moderner Anschauungsweise, die Künstler wie Buschulte seit fünf Jahrzehnten praktizieren: Teamfähigkeit, konstruktive Zusammenarbeit, demokratischen Konsens, Inszenierung des Kunstwerks im Raum, Wahrung der Historie und ihre aggressionslose, aber sichere Übertragung in die Formensprache unserer Zeit. Der Konsens zwischen Architekten, Kirchenvorstand, Gemeinde und Künstler brachte allein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zehntausende von Kirchenfensterzyklen hervor, die ganz bestimmt nicht alle minderer Qualität sind, worüber sich die Fachwelt einig ist. Auf der anderen Seite kann auch keineswegs behauptet werden, dass die autonome Kunst besser oder schlechter sei als die Werke in – meist klerikaler – Architektur. Es sind einfach vollkommen verschiedene Aufgaben mit gleichwertiger Daseinsberechtigung und künstlerischer Veranlagung. Hiltrud Kier merkt am Beispiel Hermann Gottfrieds an, was für alle Kollegen seiner Sparte zutrifft: „Es mag ihn mit etwas Genugtuung erfüllen, dass die Bemühungen eines vom Kunstmarkt sehr geliebten Kollegen um den Entwurf von Glasfenstern in St. Kunibert in Köln nach zehn Jahren noch keine wirklich vorzeigbaren Ergebnisse gebracht haben. Es scheint doch nicht so einfach, ‚Kirchenmaler’ zu sein.“3 Dennoch hat sich seit fünf Jahrzehnten außer Suzanne Beeh-Lustenberger und Adam Oellers in Deutschland kein Kunsthistoriker in nennenswertem und vor allem analytischem Maße übergreifend dieser Thematik angenommen.4 Diese strikte Ausklammerung des Bereiches Glasmalerei aus dem allgemeinen Bereich der bildenden Kunst ist in den USA und Großbritannien nicht zu beobachten. Zeitgenössische Literatur wie beispielsweise diejenige von Barbara Rose und Dale M. Lanzone über Dale Chihuly 5 betrachtet wie selbstverständlich den Bereich Glas innerhalb einer Gesamtbetrachtung des malerischen und skulpturalen Oeuvres, um die sich auch das Deutsche Glasmalerei-Museum bei Einzelausstellungen von Künstlern bemüht. In keiner deutschen Kunstbuchhandlung findet man darüber Betrachtungsweisen. Man fragt sich wirklich: woran liegt das? Wir haben in Deutschland wahrlich keine schlechten Kunsthistoriker oder Ignoranten und auch hervorragende Künstler der Glasmalerei. Also muss man an anderer Stelle nach Antworten suchen. Allein diese Tatsachen sprechen für sich und machen es notwendig, dass sich die hiesige allgemeine Kunstwissenschaft dieses Themas annimmt, objektiv versteht sich. Ganz bestimmt wird man beim Verhältnis von Kunst und Kirche und den damit zusammenhängenden Vorbehalten der Kunstwissenschaft, -kritik und -berichterstattung gegenüber Kunst des 20. Jahrhunderts im sakralen Zusammenhang ansetzen müssen. Eine derartige Betrachtung kann schon bei den vielen Debatten um die Kapelle bei der Sonderbund-Ausstellung 1912 in Köln beginnen. Die betroffenen Künstler Prikker, Kirchner, Schmidt-Rottluff und Nolde hatten offensichtlich vom Klerus die Auflage, die „...stark abstrahierten Darstellungen von ‚Wundern’ leicht in Ornamentik umzugestalten, so dass dem ‚Wunsch der Geistlichkeit’ ohne Groll – vielleicht sogar mit Erleichterung – entsprochen werden konnte.“6 Worunter fallen Vorkommnisse wie beim Auftrag Buschultes für das Redemptoristenkloster Bochum von 1953, als eine Scheibe wieder ausgebaut werden musste und der bereits erteilte Auftrag annuliert wurde, weil dem Sponsor die Gesichtszeichnung des dargestellten Engels und der Geisselung Christi nicht zusagte?7 Dominik Meiering bearbeitete das Thema „Kunst und Kirche“ schon 1997 in Bezug auf die Situation in Köln. Er berichtet über die Rede von Papst Johannes Paul II. auf der Deutschen Bischofskonferenz im Herkulessaal in München aus dem Jahr 1980. In Zusammenhang mit dem Verhältnis von Kunst und Kirche wird zum ersten Mal von der Autonomie der Kunst gesprochen. „Sie ist ein Instrument der Deutung der eigenen Epoche.... Kunst und Kirche sollen zu einer ‚neuen, partnerschaft-lichen, vertrauensvollen Zusammenarbeit’ finden können, bei der jeder Partner den anderen inspiriren kann und soll.“8 Allein die Existenz der Publikationen „Das Münster – Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft“ und der Zeitschrift „Art Magazin“ mit deren Vorliebe für Skandalträchtiges, Klatsch und Tratsch im ‚sehr alltagsorientierten‘ Kunsthandel – um es vorsichtig auszudrücken - zeigt die gespaltenen Lager in jeder Hinsicht. Der Kölner Weihbischof und zukünftige Bischof von Würzburg Dr. Friedhelm Hofmann bemerkt in Zusammenhang mit Buschulte: „Ungeachtet der sich schon über Jahrzehnte hinziehenden Diskussion um die Daseinsberechtigung einer ‚christlichen Kunst‘ erschließt sich sein Oeuvre aus Zeichnungen, Entwürfen, Fenstern, Kleinplastiken und Ölbildern, als sakral. In den spontan auf’s Papier gebrachten Ideen zu aktuellen Entwicklungen innerhalb der Kirche, zeigt sich bei ihm eine von ironisch verfremdeter Lebendigkeit gezeichnete Distanz und ein feinsinniger Humor.“9 An anderer Stelle bringt Hofmann die Bezeichnung „christlicher Künstler“10 auf und vereinnahmt damit - bewußt oder unbewußt – die Person. Aufgrund genau dieser Vorgehensweise des Klerus gibt es immer wieder Vorbehalte gegenüber Kunst christlichen Inhaltes, die in den meisten Fällen unberechtigt sind. Leider bemüht sich die Kirche nicht, den Menschen zu erreichen. Sie erwartet in ihrer welt- und lebensfernen Vergeistigung, dass die Allgemeinheit in derselben Starrheit verharrt. Darunter haben die Künstler der Glasmalerei am meisten gelitten. Sogar Hofmann räumt ein: „Sicherlich sind Wilhelm Buschulte Auseinandersetzungen mit kirchlichen Behörden und Kunstkommissionen nicht erspart geblieben. Die Gabe eines tiefgründigen Humors läßt auch den Künstler gegenüber den angesprochenen Anfechtungen souverän über den Alltagsschwierigkeiten stehen.“ 11 Interessant ist eine Aussage Georg Meistermanns, der 1988 zu diesem Thema befragt wurde:12 Paul-Johannes Fietz zitiert auf dem 36. Essener Gespräch zum Thema „Religion und Grenzen der Kunst“ im Jahr 2001 den Religionskritiker Ludwig Feuerbach, der der Kirche „als moralische Person, ein Recht auf Ehre“ einräumt. Fietz betont in Bezug auf die Kirche: Der Verein für christliche Kunst im Erzbistum Köln geht bei seiner Publikation von 2003 auf das Verhältnis von Kunst und Kirche seitens des Klerus ein.14 Zu beachten ist hier vor allem die Unterscheidung von „christlicher“ und „religiöser Kunst“. Neutrale Grundsteine zu einer offenen Diskussion hat Justinus Maria Calleen mit seinen Symposien an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart gelegt.15 Vorsichtig äußert sich hier Alfred Nemeczek über die vermeintliche Konkurrenzsituation von Kirche und Museum. Er beklagt zurecht die zunehmenden Verkäufe von Kirchengebäuden.16 Wenn das so weiter geht, was passiert denn dann mit den Fenstern? Welches „Unternehmen“ hat denn da welchen Karren in den Dreck gefahren? - um mal deutlich zu fragen. Es ist wohl an der Zeit, den Atem anzuhalten und ein „Moment mal“ einzuwerfen! Laßt uns vorher noch eilig Bestandteile der Kunst und Kultur des Abendlandes retten und schnell dokumentieren. Kann es das sein? Wir tun das – keine Frage. Befinden wir uns in ähnlicher Situation, wie zur Zeit der Säkularisation? Zeigt sich hier weltanschauliche Veränderung? Oder hat der Kunsthandel einfach nur die bessere Lobby? Und wenn ja, warum? Der belgische Künstler Wim Delvoye hat in seiner Reihe „Chapel“ eine Bilderreihe von Bleiverglasungen in Form von Kirchenfenstern geschaffen, die Röntgenaufnahmen von Personen zeigen. Entmystifizierung? „Nur“ die übliche Provokation der Gegenwartskunst?17 Oder ganz schlicht und ergreifend „Dekonstruktion“ nach Jacques Derridas, eben nicht zu vereinheitlichende Weltbilder – parallel, subjektiv. Nebenbei, Kunsthandel und -kritik haben sich das sehr leicht gemacht und Künstler wie Buschulte, Gottfried, Klos, Poensgen, Schaffrath, Schreiter, von Stockhausen, u.a. einfach in die Glasecke geschoben, als Kunstgewerbler abgestempelt, ignoriert oder in der Presse zerrissen wie am Beispiel Hermann Gottfried in Groß St. Martin und St. Aposteln in Köln. Was wurde hier auf dem Rücken der Künstler ausgetragen? Steht das Kirchenfenster unter „Event-Zwang“? Interessiert das den Besucher? In der Johanniskirche in Düsseldorf wird man zur Bibellesung mit anschließendem Mittagessen in der Caféteria im Eingangsbereich der Kirche eingeladen genau wie im Museum. Worin unterscheiden sich die Institutionen denn noch? Allerorts ein verzweifelter Versuch, Menschen zur Kultur zu bewegen oder ist das einfach nur eben viel geselliger? Die Antworten zu finden, überlassen wir der Allgemeinheit und bearbeiten so gewissenhaft, wie es uns mit den vorhandenen Kapazitäten möglich ist, kunsthistorisches Brachland. Doch eine Bearbeitung kann nur vor diesem Hintergrund stattfinden. Man entdeckt vielfältigste Unterschiede in der Stilistik. Jeder dieser spezialisierten Künstler hat seinen ganz persönlichen schöpferischen Werdegang, seine inneren Beweggründe, so oder so zu malen und eine Einbettung des glasmalerischen Oeuvres in das malerische Gesamtwerk ist wie o.g. unerläßlich. Wilhelm Buschultes Wurzeln liegen im Expressionismus. Petra Kemmler beschreibt eingehend die stilistische Verwandtschaft zur „Brücke“ und zum „Blauen Reiter“.19 Buschultes Grafiken und frühe Ölbilder aus den 1950er und 1960er Jahren zeigen deutlich die Auseinandersetzung mit Linie und Fläche als Ausdrucksträger, ohne räumlich zu werden. Sie thematisieren den Menschen – in biblischem wie nicht biblischem Zusammenhang. Man findet sehr pastosen Farbauftrag, mitunter herausgekratzte Linearität, wie in den Werken „Engel, der das Feuer auf die Erde brachte“ oder „Mann, der aus dem Feuer kam“, beide aus dem Jahr 1963.20 Farbe und Linie fungieren als ausschließliche Ausdrucksträger. Abstrakte Gesichter formen sich und erst der Bildtitel verweist auf Inhaltliches. In überwiegend dunklen Tönen dominiert auch in den Ölbildern biblische Thematik. Seine Art von Kriegsverarbeitung? Schon die frühe Generation der klassischen Moderne, allen voran Nolde, Beckmann, Meidner, Dix und Schmidt-Rottluff haben mittels christlicher Thematik auf die Schrecken des Krieges reagiert. Der wilden Malerei Wilhelm Buschultes auf der Leinwand steht eine geordnetere Vorgehensweise in den Entwürfen für Glasmalerei entgegen. Hier arbeitet Buschulte Entwurf und Karton so aus, dass bei der Übertragung in Glas keine kompositionellen Veränderungen mehr stattfinden. Oftmals trägt der Künstler die Schwarzlotmalerei selbst auf Echtantikglas auf. In Ateliergesprächen spricht Wilhelm Buschulte von den „zwei Seelen in seiner Brust“21, der Farbexplosion und dem Gegenpol linearer Farblosigkeit.
Um so merkwürdiger, dass Literaturbesprechungen dieser Phase der Architektur und selbst Bücher über Rudolf Schwarz in Bezug auf die von den Architekten eigens für den Zusammenklang von Glasmalerei und Architektur geplanten Bauten keinerlei Hinweis auf Glasmalerei geben. Um so dankenswerter ist der Aufsatz von Maria Schwarz über die Zusammenarbeit von Rudolf Schwarz und Wilhelm Buschulte in der Veröffentlichung von Annette Jansen-Winkeln.25 Viele Geschichten reihen sich in Erzählungen nicht nur Wilhelm Buschultes, sondern auch in Ateliergesprächen mit seinen Kollegen. Letzten Endes ist bei allen trotz harter Auseinandersetzungen im Laufe der Jahrzehnte Schaffenszeit eine tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Auftraggeber Kirche zu spüren, denn in den meisten Fällen ließ man den Künstlern die volle Freiheit in Entwurf und Ausführung. Was bleibt, ist ein umfangreiches und sehr aufwändiges bildnerisches Werk, das den Raum lange vor der profanen Rauminstallation kannte und diese wahrscheinlich lange überleben wird. 1 Die apostolische Nuntiatur in Berlin. Regensburg 2002 |
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